Zoom ich rein, zoom ich raus? Die Brennweite ist die wohl wichtigste Kenngröße beim Kauf eines Objektivs. Will ich nah ran, große Brennweite, will ich viel aufs Bild bekommen, kleine. So weit so gut. Aber verändert sich nur die Größe des abgebildeten Objekts? Nun, wenn es so wäre, gäbe es diesen Beitrag nicht. Denn mit verschiedenen Brennweiten lassen sich besondere Bildlooks kreieren. Und darauf wollen wir mal einen Blick werfen!
Viele Fotografen haben sicher schon mal über die Brennweite und die Entfernung nachgedacht. Denn wenn ich drei Meter vom Objekt entfernt bin und auf 55mm Brennweite zoome. Sieht das Foto dann genau so aus, wie wenn ich 50 Zentimeter vom Objekt entfernt bin und auf 18mm zoome? In beiden Fällen wird das Motiv etwa gleich groß sein. Die Fotos sehen jedoch komplett unterschiedlich aus.
Die Frage habe ich mir auch gestellt – und es einfach einmal probiert. Die Fotos unten sind keine große Kunst – sondern dienen als Anschauungsmaterial. Ein Ganzkörper-Portrait, eine Nahaufnahme und ein Foto von einem größeren Objekt. Ich habe mit 28mm angefangen, bin dann weiter weggegangen und habe auf 55mm gezoomt. Dann bin ich noch weiter weggegangen und habe ein Foto mit 135mm gemacht. Wichtig war mir, dass die Bildausschnitte nahezu identisch sind, weil ich nicht den Zoom haben wollte, der ja offensichtlich ist. Mir ging es um die Bildgestaltung und die Verschiebung der Bildelemente beim zoomen.
Kamera: Sony a7
Objektive:
Sony 28mm f2.0
Carl Zeiss 55mm f1.8
Carl Zeiss 135m f3.5 (manuelles Praktica-Objektiv an die a7 adaptiert)
Knips.
Schauen wir uns zunächst das Portrait an.
Man sieht es besonders zwischen Erstem und zweitem Foto: Eine höhere Brennweite gibt dem Model natürlichere Proportionen. Besonders wenn das Objekt bildfüllend ist, kann die Verzerrung bei niedrigen Brennweiten zum Problem werden, dann wirkt die Bildmitte größer als der Rand – ungünstig wenn die Bildmitte auch die Körpermitte ist.
Das Model scheint außerdem näher an den Hintergrund heranzurücken – ich schwöre, sie hat sich keinen Millimeter bewegt. Das sieht man besonders am Baum direkt hinter ihr: Der ist bei 28mm fast komplett auf dem Foto, während bei 135mm nur noch ein kleiner Teil draufpasst.
Zudem scheint der Schärfebereich kleiner geworden zu sein und der Hintergrund wird unschärfer.
Werfen wir jetzt einen Blick auf die Nahaufnahme:
Was wieder auffällt: Der Hintergrund rückt scheinbar wieder näher heran und die Unschärfe wirkt stärker.
Was neu ist: Das Motiv wird „flacher“. Bei 28mm wirkt die Blüte deutlich plastischer als bei 135mm – dort wird die Tiefe nur durch die Unschärfe bei Blende 4 erzeugt.
Fun Fact: Diese Fotos sind am 28. Dezember 2015 entstanden. DE-ZEM-BER.
Zuletzt zur Großaufnahme
Und wieder zeigen sich ähnliche Charakteristiken. Die Verzerrung des Objekts scheint diesmal vernachlässigbar. Der Hintergrund wirkt wieder extrem viel näher am Objekt und bei 135mm auch deutlich unschärfer als bei 28mm.
Fassen wir mal zusammen..
Was können wir aus unseren Testreihen mitnehmen?
Bei höherer Brennweite scheint:
- Das Objekt ebener zu werden
- Das Objekt näher an den Hintergrund zu rücken
- Der Hintergrund größer zu werden
- Der Hintergrund unschärfer zu werden
Einfluss auf das Objekt:
Das Objekt scheint ebener zu werden. Dabei handelt es sich in gewissem Maße zwar um eine Täuschung – weil das Foto ja nur zweidimensional ist, aber die Größenverhältnisse ändern sich tatsächlich. Denn bei geringen Brennweiten ist man nah am Objekt ran, im Verhältnis ist die vordere Blüte also viel näher an der Kamera als die hintere – verglichen mit einer hohen Brennweite, wenn man mehrere Meter weit weg steht, dann machen die paar Zentimeter zwischen den Blüten wenig aus. Was wichtig ist, dass nicht die Brennweite an sich für diesen Effekt verantwortlich ist – sondern die Entfernung zum Objekt (vgl. kwerfeldein 2008). Da man aber, um den Abstand bei gleichem Bildausschnitt zu variieren, an der Brennweite schrauben muss, bleibt diese die zu beachtende Kenngröße.
Wie alles ist das Geschmackssache, aber ich finde die fotografische Tiefe von niedrigen Brennweiten häufig sehr interessant. Außer bei Portraits. Da sollte man sich im Klaren sein, dass bei niedrigen Brennweiten die Proportionen, besonders bei Gesichtern, stark beeinflusst werden und das Model bei ungünstiger Positionierung plötzlich eine unnatürlich große Hüfte oder Nase erhält. Deshalb empfiehlt sich bei Portraits eine Brennweite von mindesten 35mm (Ausnahmen bestätigen die Regel).
Also merken wir uns:
- bei Portraits eher höhere Brennweite (ab 35mm)
- Zur stärkeren Plastizität des Objekts eher kleine Brennweite
Einfluss auf den Hintergrund:
Der Hintergrund scheint bei höheren Brennweiten näher an das Objekt heranzurücken. Dass das nicht wirklich passiert, sollte klar sein. Schuld sind wieder die Verhältnisse:
Ist der Hintergrund fünf Meter vom Objekt entfernt und ich bin als Fotograf bei niedrigen Brennweiten einen Meter entfernt, ist der Hintergrund verhältnismäßig weit entfernt (fünf mal so viel).
Bin ich allerdings 10 Meter entfernt, ist der Hintergrund (relativ gesehen) viel näher am Objekt (1/2 mal so viel). Da das Foto ja zweidimensional werden muss, werden Tiefen extremst gestaucht und Distanzen wirken viel kleiner, weil sie relativ gesehen ja auch kleiner geworden sind. Deshalb wirkt der Hintergrund viel größer.
Selbes zur Schärfe. Der Schärfebereich ändert sich nicht wirklich, so lange der Bildausschnitt gleich bleibt. Dadurch, dass der Hintergrund aber bei gleichen Unschärfe näher am Objekt dran scheint, entsteht der Eindruck der Schärfebereich sei viel enger und die Unschärfe würde direkt hinter dem Objekt beginnen. Obwohl der Bereich nur gestaucht wurde.
Also merken wir uns:
- Die Distanzen zum und und hinter dem Objekt wirken deutlich kürzer
- Je höher die Brennweite, desto weniger weit entfernt wirkt das Objekt vom Hintergrund
- Die Tiefenunschärfe wirkt bei höherer Brennweite größer
- Eine kleinere Brennweite lässt den Hintergrund tiefer wirken.
Und was bringt mir das?
Gerade bei Fotoshootings, wo alle Bildteile gezielt gesetzt werden, kann dieses Wissen nützlich sein. Beispiel: Ich fotografiere ein Model vor einer Stadtsilhouette. Je höher ich die Brennweite wähle, desto größer erscheint die Stadt im Hintergrund auf dem Foto. So kann ich ranzoomen und gleichzeitig meinen eigenen Standpunkt nach hinten verlagern, um einen optimalen Hintergrund zu erreichen.
Anderes Beispiel bei Bildern mit Fluchtpunktperspektive. Wenn ich gezielt Tiefe erreichen möchte, dann nutze ich eine kleinere Brennweite. Will ich den Hintergrund eben machen (und vielleicht dadurch uninteressant machen – weil ich den Fokus auf etwas anderes legen will) dann nutze ich höhere Brennweiten.
Dieses Wissen ist eher ein Werkzeug und kein „Rezept“ zum Fotos machen. Aber es sollte euch helfen, bestimmte Wünsche umzusetzen, um genau die Bildwirkung zu erzielen, die ihr euch vorher überlegt habt.
Viel Spaß beim Fotografieren.
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